Sunday, December 11, 2016

Schallplatten. Offener Brief An Ulf Stolterfoht

"Die Tatsache, dass Vinyl ein so grandioses Comeback gefeiert hat, liegt weniger am Fetischismus der Sammler (die wurden ja sowieso immer bedient), als daran, dass Schallplatten (nicht nur für DJs) unbestreitbare Vorteile haben, etwa in Haltbar- und Bedienbarkeit."

Ulf, einem Interview mit Sabine Vogel in der Berliner Zeitung, 19.10.16, zufolge, sagtest Du das.

1) Es liegt ganz am Fetischismus der Sammler.

2) Vorteile in Haltbarkeit!? Oh, klar, Mann! Was ist denn unzerstoerbarer als eine Schallplatte? Wir benutzten sie als Frisbees und Fussballe und Türstopper, und danach klangen sie noch wie vor perfekt. Es war gar nicht so, als koennte man unabsichtlicherweise eine Schallplatte schaeden, so dass sie nicht mehr perfekt funktionierte. An was dachte man zuerst, damals, als man "Haltbarkeit" dachte -- etwa an Haemmer? Oder an Lacrossebaelle? Nee, vor allem dachte man an Schallplatten, denn nichts war so strapazierfaehig wie sie.

3) Vorteile in Bedienbarkeit?! Ja klar Mann, daran denke ich jedes Mal wenn ich eine Schallplatte im Auto spiele waehrend ich fahre. So sehr viel leichter und unumstaendlicher als Kassette oder CD oder mp3 waehrend des Autofahrens spielen.

Fazit: Schallplatten waren ein Plag. Sie klingen nicht besser, das ist Bullshit. Hipster-Bullshit. Erbaermlicher schon als die meiste Hipster-Bullshit. Viele dieser Hipsters (Neo-Hipsters: ich will nicht den ersten, echten Hipters von den 1950ern ankreiden, sie haetten ueberhaupt etwas mit diesen heute gemein.) waren noch nicht geboren, als es schon mehere ungleich besseren Alternativen zu Schallplatten gab. Zugegeben: manchen DJs sind Schallplatten noch heute nuetzlich. Aber nicht mal allen von ihnen.

Bitte entschuldige, wenn Deinerseits das zur Haltbar- und Bedienbarkeit von Schallplatten Ironie oder gar bitter Sarkasmus wie mein 2) und 3) war, und ich es in dem falschen Hals kriegte. Du bist echt ein Dichter, und deshalb verstehe ich Dich sehr oft ganz und gar nicht. Ich weiss das zu schaetzen. Nix fuer ungut usw. (Ich habe gar keine Ahnung, ob das Comeback von Vinyl unironisch "grandios" zu nennen waere.)

Aber Du spinnst wenn Du es ganz unironisch sagtest, und Du wirklich glaubst dass Schallplatten heutzutage vom Nutzen sind ausser fuer ein Teil der DJs und fuer Diejenigen, die einfach von den Dingen an sich fasziniert werden.

Gegen letzteres ist gar nicht einzuwenden, noch ist es mir unverstanedlich, gar nicht. Zum Beispiel, ich finde, dass eine Hamilton 992 (hergestellt von 1912 bis etwas 1957, legendaere Railroad-Watch, in vieler Hinsicht vielen anderen Taschenuhren ihrer Zeit hoch ueberlegen) --


-- ein feines, schoenes Ding sein kann. Insoweit empfinde ich aehnlich wie ein Liebhaber von Vinyl. Der Unterschied von vielen Schallenplattenliebhaber ist, dass ich nicht behaupte, dass ein Hamilton 992 besser funktioniert, genauer Zeit misst als die Uhren in PC's oder Smartphones.

Wenn ich und grosse Haufen von Hipsters sowas behaupteten, dann muesste jemand die Haltung verlieren und darueber einen rasenden offenen Brief schreiben, denn es ist nicht nur unwahr, es ist ganz offensichtlicherweise alles anderes als wahr, es ist so bloed wie Bloedsinn selten ist. Aber ich sollte sagen, es waere bloed. Denn ich weiss von niemandem, der die Uhr in seinem Smartphone nach einer antiken Taschenuhr setzt anstatt umgekehrt. Die Zeiten aendern sich allezeit, aber zwischen 1912 und 1957 trugen viele Eisenbahnschaffner und andere Leute 992s, weil sie fuer die Verhaeltnisse dieser Aera sehr akkurat und zuverlaessig waren.

Genauso wie bis 1957, und nicht viel laenger, Schallplatten der letzte Schrei waren.

Durchaus Gruende gibt es, Schallplatten und mechanische Uhre zu lieben. Keiner von diesen Gruenden ist fuer jemanden ausser Historiker, Verkaufer und Handwerker praktisch.

Wie das alles bei Buechern ist kann ich gar nicht sagen, ich weiss dass ich dazu viel zu sehr emotionell darin verstrickt bin.

No comments:

Post a Comment